Leseprobe: Fünf Tage

»Lass mich die Situation noch einmal zusammenfassen. Du bist versehentlich in mein Revier gestolpert, hattest keine bösen Absichten, wolltest mich nicht ausspionieren und möchtest nur nach Hause? Ist es das, was Du mir sagen möchtest?«
Noch während ich hier knie, ist Darius um mich herumgegangen. Wahrscheinlich mustert er mich jetzt mit seinen dunklen und kalten Augen. Abschätzend und darauf bedacht, keine meiner Regungen zu verpassen. Dass das nicht leicht werden würde, war mir von vornherein klargewesen. Darius ist gefährlich, doch nun ist er der Einzige, der darüber entscheidet, was mit mir passiert.
»Ich habe Dich etwas gefragt, Demas«, sagt er ungeduldig. »Ich erwarte eine Antwort!«
Er steht jetzt wieder vor mir und sieht von oben auf mich herab. Sein stechender Blick ist mir unangenehm, bohrt sich in meinen und scheint darin mehr zu lesen, als ich es mir leisten kann. Trotzdem ich ihm nicht ebenbürtig bin, liegt etwas Formelles in seinem Tonfall. Etwas Zwingendes, dem ich mich nicht entziehen kann.
»Ja, Mylord, die Zusammenfassung entspricht der Richtigkeit.«
»Und Du denkst, dass ich Dir das glaube?« Darius lächelt mich jetzt hintergründig an.
Ich zögere wieder, bin unsicher, was ich sagen soll. Natürlich hat er keinen Grund, mir zu glauben. Ich habe mich mit meiner Neugier in eine denkbar schlechte Situation manövriert. »Ich sage die Wahrheit«, erwidere ich trotzdem, doch meine Stimme zittert. Dabei ist es nicht die Lüge, die mich hemmt, sondern seine ganze Person, seine Ausstrahlung und die Art, wie er mich ansieht.
Er dreht sich von mir weg und geht einige Schritte in den Raum hinein. Seine Hände hat er hinter dem Rücken verschränkt. »Du wirst mir nachsehen müssen, dass ich Zweifel habe, Demas. Aber ich habe eine gute Nachricht für Dich.« Er dreht sich wieder um und ein breites, hartes Lächeln ziert sein Gesicht. Es besteht absolut kein Zweifel daran, dass seine gute Nachricht keine gute für mich sein wird.
Er sieht mich nur an, wartet auf eine Reaktion. Ich weiß nicht, was er von mir erwartet. Soll ich nachfragen? Dabei will ich es wirklich nicht wissen. Ich will raus aus dieser beklemmenden Situation. Mich vor seinem Blick verstecken und ganz kleinmachen. Aber eines ist mir klar: So erniedrigend es sich anfühlt, raus komme ich nur, wenn ich seinen Weg mitgehe. Ich muss etwas tun.
»Mylord?« Ein schwacher Versuch, aber ich ertrage diese Spannung nicht.
»Ach, mein lieber Demas.« Er schreitet auf mich zu. Bedacht und mit einer Eleganz, die ihn einzigartig macht. Er bleibt direkt vor mir stehen und legt seine Hand auf meinen Kopf, zerwühlt mein Haar, als sei ich ein ungehorsamer Schuljunge. Ob ich es will oder nicht, ich bekomme Gänsehaut.
»Ich mache Dir einen Vorschlag. Und ich bin mir fast sicher, dass Du zustimmen wirst.« Darius lässt mich zappeln. Wartet, bis ich zu ihm nach oben und direkt in seine Augen sehe. Er weidet sich an meiner Unsicherheit. »Deine Großeltern würden viel dafür bezahlen, um Dich wohlbehalten zurückzubekommen. Darum ist es nur fair, wenn ich etwas von Dir verlange, was diesen Preis ungefähr aufwiegt.«
Ich werde unruhig. Meine Großeltern würden mich vierteilen, wenn sie mich hier herausholen müssten oder je davon Wind bekommen, dass ich hier war. Er kann sie nicht einbeziehen! Und was soll das heißen, aufwiegen? »Bitte, Mylord.« Das Zittern in meiner Stimme dürften jetzt auch die Wachen an der Tür gehört haben.
»Aber, aber, mein Lieber. Nicht so ängstlich.« Erneut liegt seine Hand auf meinem Kopf, streichelt ihn und drückt ihn leicht nach unten. »Ich habe nicht vor, Deine Großeltern einzuweihen. Ich weiß doch, wie wichtig ihnen Dein Ruf ist. Der perfekte Enkel und Erbe. Das möchte ich ihnen nicht kaputtmachen.« Die Ironie tropft geradezu aus seiner Stimme. »Nein, Du wirst mich so bezahlen, wie es mir zusteht. Du allein.«
Ich halte die Spannung kaum aus, jede Zelle in meinem Körper vibriert. Wie soll ich ihn bezahlen? Meine Mittel sind begrenzt. Da meine Großeltern jeden meiner Schritte überwachen, ist es ausgeschlossen, dass ich mehr als nur ein Stück Brot abgeben könnte.
»Kein Geld, Demas. Ich will Dich.«
»Mich … Mylord?«
»Ja, Dich, Demas. Oder besser gesagt, Deinen Körper. Ich will ihn fünf Tage lang für mich haben und bestimmen, was mit ihm geschieht und wie es geschieht. Ich will mit ihm verfahren, wie es mir beliebt. Und Du wirst es mir erlauben, ganz ohne Gegenwehr!«
»W-Was? Mylord, das geht nicht«, flüstere ich verzweifelt. »I-Ich muss –«
»Gar nichts musst Du. Ich weiß bereits, dass sie Dich erst in zwei Wochen zurückerwarten, weil Du bei einem meiner Geschäftspartner vorstellig werden sollst. Wie gut, dass wir uns schon ewig kennen und er versprochen hat, den kleinen Umstand, dass Du verspätet auftauchen wirst, für sich zu behalten. Du kannst Dich also entspannen.« Ich muss ihn nicht einmal ansehen, um das breite Lächeln in seinem Gesicht herauszuhören. Ich bin ihm ausgeliefert.
»Was passiert, wenn ich nein sage?«, frage ich ohne jede Höflichkeit und kenne bereits die Antwort.
»Nun, dann werden wohl doch Deine Großeltern dafür aufkommen müssen, dass Du wieder nach Hause kannst.«
Ich versuche, tief Luft zu holen, doch meine Brust zieht sich eng zusammen. Darius legt seine Hand in meinen Nacken und drückt mein Gesicht seitlich an seine Hüfte. Er sagt nichts weiter, hält mich aber fest und wartet, bis ich wieder besser atmen kann.
»Fünf Tage?« Meine Stimme ist kaum mehr als ein Hauch.
»Fünf Tage, Demas. Von mir aus kannst Du danach wieder der brave Enkel sein.«
Ich schließe die Augen und gehe meine Optionen durch. Was er mit mir machen wird, steht außer Frage. Ich kenne seine Vorlieben, sie sind kein Geheimnis. Was er mit mir tun wird, ist außerhalb jeder moralischen Konvention, die mir beigebracht worden ist. Er wird sich alles von mir nehmen, was er will. Ohne Grenzen, ohne dass ich ihn aufhalten kann. Ihm das zu verweigern, würde bedeuten, dass ich meinen Großeltern erklären müsste, was ich hier getrieben habe, und das könnte schlimmer werden, als die fünf Tage bei Darius zu bleiben.
Was mache ich mir vor? Ich habe meine Entscheidung bereits gefällt, ich kann sie nur nicht laut aussprechen. Ich will noch nicht wahrhaben, dass Darius gewonnen hat. Er hat so lange angekündigt, dass er mich eines Tages bekommen wird. Und hier knie ich nun vor ihm, in die Enge getrieben und eingefangen. Er hat mich bereits und er weiß es. Er dringt nicht einmal auf mich ein, damit ich ihm antworte. Wir beide wissen, was ich sagen werde, und er gesteht mir diesen letzten Freiraum vor den fünf Tagen zu. Danach werde ich alles abgeben, ganz der Seine sein, außerhalb jeder Möglichkeit, mich zu wehren oder nur eine Bewegung ohne ihn zu machen. In meinem Leben ging es bisher nur um Kopfentscheidungen und Selbstoptimierung. Doch es ist nicht das, was jetzt zählt.
»In Ordnung, Mylord«, sage ich und spüre, wie sich der Käfig schließt. »Ich gehöre Euch. Für fünf Tage.«

Noa Liàn